Tatort "Totenstille", 2016



Sender: Saarländischer Rundfunk, 

Produktion: Pro-Saar-Medienproduktion

Buch: Peter Probst 

Kamera: Simon Schmejkal, Schnitt: Magdolna Rokob

Musik: Andy Groll

Darsteller: Devid Striesow, Elisabeth Brück, Hartmut Volle, Benjamin Piwko, Lena Stolze, Franz Hartwig, Kassandra Wedel, Jessica Jaksa, Martin Geuer, Edda Petri u.v.a.

Verhör mit einem gehörlosen Verdächtigen

Ein seltener Moment der Entspannung beim Dreh: Warten auf die blaue Stunde

Premierenfeier auf dem Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken, mit Franz Hartwig und Benjamin Piwko

Oliver Tolmein, FAZ, 24.01.2016


Er hört nichts, hat aber alles vernommen


Ein Mann, der aufgeregt telefoniert, weil er einen Freund überreden will, eine Leiche wegzuschaffen, wird von einem jungen gehörlosen Schreiner beobachtet, der sich gerade vom Leichenschmaus für den Leiter einer Gehörlosenschule erholt. Der junge Mann kann ausgezeichnet Lippen lesen und braucht dringend Geld, um seiner Freundin ein Studium an einer Universität zu ermöglichen, auf der in Gebärdensprache gelehrt wird. Was folgt, kann man sich denken: eine verhängnisvolle Erpressung.


Zufälle dieser Art, die die Geschichte vorantreiben, gibt es im Saarbrücker Tatort „Totenstille“ einige – und keiner ist so, dass man ihn sich nicht vorstellen kann. Weniger konventionell wird in „Totenstille“ aber vom Scheitern der Kommunikation der verschiedenen Menschen miteinander erzählt. Nicht jeder, der hören und sprechen kann, ist willens und in der Lage – wie Kommissar Stellbrink (Devid Striesow) auch in dieser Folge immer wieder unerbittlich lächelnd vorführt –, sich auch mitzuteilen; die Verständigung zwischen Tauben und Hörenden kann trotz Tablets und Gebärdensprachdolmetschern an kulturellen Barrieren hängenbleiben. Und in der im Zentrum der Geschichte angesiedelten Familie Reichert, aus der Opfer und Tatverdächtige stammen, führte die Unfähigkeit der Eltern, die Interessen des hörenden Sohns (Franz Hartwig) mit den Bedürfnissen der ertaubten Tochter (eine Entdeckung: Jessica Jaksa) zum Ausgleich zu bringen, dazu, dass Erbstreitigkeiten mit dem abgetauchten Mittzwanziger abgeschlossen werden, dass man ihn kurzerhand für tot erklären ließ.


Dem Ton (Christian Wegner) kommt in diesem „Tatort“ besondere Bedeutung zu. Er muss zeigen, wie die Polizei bei ihren Ermittlungen in der Welt gehörloser Menschen an ihre Grenzen stößt und sich taube Menschen zu Recht oft missverstanden fühlen. Akustische Perspektivwechsel schärfen die Aufmerksamkeit dafür, weil sie ganz andere Akzente setzen, als es die oftmals bloß Stimmungen schürende Musik in anderen Fernsehkrimis tut. Wie hört sich Geräuschlosigkeit an? Klingt sie für Hörende anders als für Taube? Aber auch: Wann wird Lautstärke so eindringlich, dass Gehörlose zwar zu den Beats tanzen, Hörende sie aber nicht mehr ertragen können?


Die Aufklärung der beiden Todesfälle verläuft in „Totenstille“ in tatortüblicher Manier: routiniert. An Stellbrinks Mopedfahrten hat man sich ebenso gewöhnt wie an seine Geplänkel mit Kommissarin Lisa Marx (Elisabeth Brück), die die Geschichte nicht vorantreiben, weswegen alte Stränge nach Bedarf aufgelöst und neue Handlungsfäden etwas unvermittelt angeknüpft werden. Der Ausflug der Geschichte in das Leben gehörloser Menschen hält dagegen für die Zuschauer einige Überraschungen bereit, beispielsweise den vor dem Bildschirm Gebärden einstudierenden Kommissar Stellbrink, der bei der Vernehmung plötzlich empört stutzt, weil er meint, vom gehörlosen Verdächtigen mit der Geste für „Bullenschwein“ belegt worden zu sein.


Dass der ausführliche Exkurs in die Welt des Lippenlesens, der Gebärdensprache und der beredten Gestik überwiegend nicht belehrend wirkt, sondern Witz und Tempo hat, liegt nicht zuletzt daran, dass der Drehbuchautor Peter Probst eine gehörlose Bloggerin (Julia Probst, nicht mit ihm verwandt) als Beraterin hinzugezogen hat. Auch die Entscheidung der Saarbrücker „Tatort“-Redaktion, die Rollen der Gehörlosen tatsächlich mit tauben Schauspielern und einer echten Gebärdensprachdolmetscherin zu besetzen, schafft in einigen Szenen eine bemerkenswert dichte Atmosphäre.


Vor allem der verzweifelte Ausbruch des gehörlosen Schreiners Ben Lehner (Benjamin Piwko), der entdeckt, dass seine Freundin ermordet wurde, wäre in dieser Radikalität von einem hörenden Darsteller kaum zu spielen gewesen.